Geschichtliche Entwicklung

Kickboxen

Jahr 1974

Bei einem kurzen Winterurlaub in Accapulco berieten Mike Anderson und Georg F. Brückner die Idee einer weltweiten Revolution.....

John Rhee hatte die ersten safety's entwickelt. Er realisierte damit die Idee von Bruce Lee, dem legendären Superstar der Kung Fu-Filmgeschichte, der die Zukunft der fernöstlichen Kampfsysteme nicht weiter in den traditionellen Auffassungen philosophischer Weisheiten sah, sondern in der wachsenden Realität zum echten sportlichen Wettkampf. Und das hieß zu dieser Zeit Wettkämpfe mit Schutzausrüstungen.

Weg von der Theorie weltfremder Philosophien zur Praxis zur Wirklicjhkeit. "No dry land swimming", keine Trockenschwimmkurse mehr, denn eine Theorie, die in der Praxis nicht funktioniert, ist nur ein künstliches Gebilde. Treffen sollen, aber nicht treffen dürfen, die geballte Kraft Millimeter vor dem Ziel zu stoppen, das konnte nur theoretisch gutgehen, niemals jedoch in der nicht kalkulierbaren Bewegung zweier Kontrahenten.

Also Wettkämpfe mit Schutzausrüstungen. Und dies ganz besonders, da die karateturniere nicht nur in den USA, trotz Nullkontakt oder kontrollierbarem Kontak, das Blut gebrochener Nasen und Platzwunden in Strömen fließen ließ, von ausgeschlagenen Zähnen und gebrochenen Rippen erst gar nicht zu reden.
Die ersten Safety's wurden natürlich von vielen nicht nur skeptisch betrachtet, sondern von der großen Mehrheit kategorisch abgelehnt. Viele sahen in den Safety's den Untergang der traditionellen Systeme, die Verwässerung der sauberen Technik, die Vergewaltigung der geistigen Überlieferung. Dass die traditionellen Stile damals auch erst wenige Jahrzehnte alt waren und erst nach dem 2. Weltkrieg in den USA und Ende der 50er Jahre nach Europa kamen, waren keine Argumente.

So berechtigt und verständlich die fernöstlichen Systeme nach dem Krieg die Welt eroberten als hohe Kunst der Selbstverteidigung mit dem Nimbus tödlicher Techniken und dem Anstrich geheimnisvoller Kenntnisse, die allen Anhängern eine Überlegenheit vermitteln würde, von denen kein Mensch nur träumen kann, so berechtigt war auch die neue Idee und Entwicklung einer modernen Version dieser Kampfarten mit Schutzausrüstungen.

Überzeugt und begeistert beschlossen Mike Anderson und Georg F. Brückner, dieses Experiment, das sich bei wenigen Wettkämpfen bereits als positiv, lebendiger und vor allem als ungefährlicher herausstellte, auch in Europa vorzustellen und dynamisch nach vorn zu treiben. Auch hier spielten natürlich tiefgreifende Erlebnisse eine große Rolle. Die maßlose Arroganz der Asiaten in den USA und Europa, die Selbstherrlichkeit der sogenannten Großmeister, die Verlogenheit, Intrigen und Ausbeuterei hatten in diesen Jahren zu großen Enttäuschungen geführt, die nie wieder gutzumachen waren. Freiheit statt Unterdrückung, Selbstverwirklichung statt Kadavergehorsam. Die Entdeckung, was nun wirklich hinter diesen unglaublichen Techniken steckt, und eine sportliche Entwicklung mit einem lebendigen natürlichen System, das war verlockend, ein wahres Abenteuer.

Wie fängt man ein neues Kapitel Weltgeschichte an? Natürlich mit einer Weltmeisterschaft in den USA, in Los Angeles, in dem Land, wo die Freiheit Berge versetzen kann. So flogen die beiden von Mexiko nach Kalifornien, und Mike Anderson mietete die imposante "Sports Arena", eine Halle, die 13 000 Zuschauer faßt. Und jetzt war Europa am Zuge. Georg F. Brückner lud alle Sportler, die er kannte und von denen er gehört hatte, im Mai nach Berlin zum ersten europäischen Turnier aller Stile ein. Nach amerikanischem Muster und Regeln traten am 17. Mai 1974 in der Deutschlandhalle 88 Schwarzgurte zu diesem Experiment in die Arena. Linda Lee, die Frau des damals noch nicht lange verstorbenen Idols Bruce Lee, Jhon Rhee, Erfinder der ersten Safety's, Koreaner wie Park Jong Soo, Rhee Ki Ha, Japaner wie Hidy Ochiai, Takayuki Mikami, Fumio Demura und die seinerzeit bereits berühmtesten Amerikaner wie Bill Wallace, Joe Lewis, Jeff Smith, Howard Jackson, Jim Butin, Al und Malia Dacascos und viele andere mehr, waren zugegen und leiteten das europäische Turnier. In 4 Gewichtsklassen wurden die Sieger ermittelt, die dann zur Weltmeisterschaft nach Los Angeles eingeladen wurden. Aber zuvor bestritten sie am Abend in der mit über 7 000 Zuschauern besetzten Halle im Rahmen eines an vielen Attraktionen reichen Show-Programms einen Vergleichskampf gegen die Superstars aus den USA.

Dies war der absolute Höhepunkt, den Europa bis dahin je gesehen hatte. Hier zeigten die Amerikaner die seinerzeit unfaßbare Überlegenheit ihres Könnens, neben dem jeder Meister der traditionellen Systeme verblaßte. Mit einer unvergleichbaren artistischen Beweglichkeit und Eleganz, mit hoher Ästhetik, mit einer unglaublichen Vielseitigkeit, blitzschnell und treffsicher zeigten sie ein Feuerwerk dynamisch kontrollierter
Explosionskraft, die alle verblüffte und in Spannung versetzte. Die US-Boys trugen hierzu die ersten Safety's und konnten deshalb natürlich alle Register ihres Könnens ziehen. Die mutigen Europäer, die ahnten, daß sie nur wenig Chancen hatten, konnten es kaum begreifen, wie sie förmlich deklassiert wurden. Das Publikum war begeistert. Es raste und jubelte. Diese Show war grandios und überzeugend, das war Karate als Sport, eine neue Dimension, der Anfang einer neuen Epoche Im September wurde dann die erste Weltmeisterschaft in der "Sports Arena" von Los Angeles durchgeführt. Die Halle war bis auf den letzten Platz gefüllt, alle harrten gespannter Dinge, die sich jetzt an diesem Abend ereignen sollten.

Fullcontact. Zum ersten Mal in der Geschichte der fernöstlichen Kampfkünste gab es ein WM-Turnier mit vollem Kontakt. Die Spannung war riesengroß. Würde es den Kämpfern nützen, daß sie den neuen Hand- und Fußschutz trugen, würden die Techniken, die im Ernstfall so tödlich sein konnten, hier bei der Probe aufs Exempel nicht eine Katastrophe auslösen? Über 100 der bekanntesten Schauspieler Hollywoods säumten den Ring. Alles, was Rang und Namen hatte, war an diesem Abend in der Halle, um Zeuge des größten Spektakels aller Zeiten zu werden. Dieses Ereignis wurde von der Fernsehanstalt ABC sogar live übertragen.

Furiose Fights tobten auf dem Podium, daß den Zuschauern der Atem stockte. Härte und Siegeswillen erfaßte die Kämpfer. Ramon Smith aus San Domingo schlug den hochfavorisierten Amerikaner Howard Jackson. Isaias Duenas, der Stier von Mexiko, erteilte Frank Knittel, Berlin, eine Horrorlektion. Bernd Grothe, Berlin, mußte trotz eines beherzten Kampfes die klare Überlegenheit eines Bill Wallace zur Kenntnis nehmen. Budimir Vejnovic, Berlin, erlebte das Land der Träume gegen Jeff Smith und Franc Brodar, ebenfalls Berlin, mußte angeschlagen gegen den ungestümen Joe Lewis vorzeitig aufgeben. Auch Wally Slocki und Daniel Richee aus Kanada, Ramon Smith, der einzige Koreaner Byu und der Japaner Ryu Kenji hatten keine Chancen. Die strahlenden Sieger dieser ersten Weltmeisterschaft im Vollkontakt waren Isaias Duenas aus Mexiko sowie Bill Wallace, Jeff Smith und Joe Lewis aus den USA. Sie konnten eine Siegprämie von je 3 000 Dollar einstecken.

Fazit: Trotz vieler, vieler Niederschläge gab es zur Verblüffung aller Anwesenden keine Verletzungen. Der Bann war gebrochen, die Zukunft konnte beginnen, Fullcontact war geboren.
Bereits 2 Wochen nach dieser Veranstaltung wurde die PKA (Professional Karate Assoziation) von Mike Anderson und Don Quine in Los Angeles gegründet. Die Europäer konnten da natürlich noch nicht weiter mithalten. Sie waren für solche Aufgaben noch lange nicht reif. Aber es sollte weitergehen.

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