Olympische Spiele der Neuzeit |
München 1972
Die Spiele der XX. Olympischen Spiele haben in der Retrospektive zwei Gesichter. Ein freundliches, sogar heiteres Gesicht ist das eine. Eine düstere, hässliche Fratze das andere. So wie es jeder wohl empfand, der diese Spiele miterlebte. Bis zum Montagabend, dem 04. September 1972, war die Welt noch in Ordnung.
Zehn Tage vorher, bei der feierlichen Eröffnung der Olympischen Spiele, gingen alle Ressentiments und Vorbehalte, mit der die Welt auf Deutschland und München blickte, im Jubel der 80.000 Zuschauer im Stadion unter. Eine Milliarde Menschen in aller Welt, die diese glückliche Stunde auf den Bildschirmen und an den Lautsprechern miterlebten, teilten die Begeisterung. Man bezeichnete diese gelungene Eröffnung mit Recht als den größten Erfolg der Spiele 1972.
In sechs Jahren, zwischen dem Auftrag, den das Internationale Olympische Komitee in Rom erteilte, und der Eröffnung war eine Utopie entstanden, die nahezu zwei Milliarden Mark kostete. Der Voranschlag lautete einst auf 500 Millionen. Nicht zuletzt deshalb wich der anfängliche Jubel über die zweiten Spiele in Deutschland zeitweiliger Skepsis. Der Bundesbürger wurde zur Kasse gebeten, wo immer es ging: mit den Olympis-Groschen bei Toto und Lotto, mit der Olympia-Lotterie. Und er zahlte! So blieben am Ende für den Steuerzahler nur rund 600 Millionen Beitrag für die Olympischen Spiele übrig. Dass München damit in seiner städtebaulichen Entwicklung einen Riesensprung nach vorne machte, wog dieses Geld leichter wieder auf.
Das Zeltdach, das Olympiastadion, Sport- und Schwimmhalle überspannt, gehört in die Reihe der ersten Sehenswürdigkeiten dieser Welt, wie etwa der Eiffelturm in Paris oder das Atomium in Brüssel. Und unter diesem Zeltdach trafen sich am 26. August bei strahlendem Sonnenschein nahezu 12.000 Sportler und ihre Betreuer aus 122 Ländern der Welt zu "ihren" Spielen. Begleitet von schwungvoller Musik, zu der man marschieren konnte, aber nicht marschieren musste, zogen sie ins Stadion ein, zum Teil - und vor allem die Afrikaner - in ihren Nationalgewänden. Die Mannschaft der DDR ging zum zweiten Mal bei Olympischen Sommerspielen hinter ihrer eigenen Fahne, die der Weltergewichts-Boxer und spätere Trainer von Henry Maske Manfred Wolke, Olympiasieger 1968, ins Stadion trug. Ihr ging mit der Fahne Detlev Lewe voran, der vor vier Jahren die Silbermedaille im Einer-Kanadier gewann und in München mit Bronze zufrieden sein musste.
Mitten hinein in diesen fröhlichen, sonnigen Tag schmetterten Fanfaren die olympische Hymna. Münchner Kinder entboten den Teilnehmern aus aller Welt ihren Gruß. Heiter, gelöst und fröhlich tanzten sie mit Blumengebinden nach einem altenglischen Kanon.
Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann eröffnete die Spiele. Die Besatzung des Deutschland-Achters von Mexiko hisste die olympische Fahne mit den fünf Ringen. Als letzter von 5976 Fackelläufern brachte der 18jährige Günter Zahn bei Passau das olympische Feuer, das in 29 Tagen von Olympia durch halb Europa über 5538 Kilometer nach München getragen worden war. Die 22jährige Leichtathletin Heidi Schüller aus Leverkusen sprach als erste Frau in der Geschichte das olympische Gelöbnis.
In einer unvergesslichen, glücklichen Stunde dachten die wenigsten an die dunklen Schatten, die sich schon vor der feierlichen Eröffnung über diese Spiele der Jugend gebreitet hatten: Mit dem Ausschluss der rhodesischen Sportler war das Internationale Olympische Komitee zum ersten Mal in den Würgegriff der Politik geraten. Und die Politik war stärker. Selbst unter schwersten Auflagen , ohne Fahne und Hymne, sprachen sich die Afrikaner gegen einen Start Rhodesiens aus. Der Grund lag in der Rassendiskrimierung des Regimes Ian Smith in Rhodesien. Die Afrikaner, darunter auch Kenia und Äthiopien, Länder, deren Sportler einen weltweiten guten Ruf geniesen, drohten mit dem Boykott der Spiele, falls Rhodesien doch starten dürfte. Das IOC ging den Weg des geringsten Widerstandes. Der Sport beugte sich der Politik. Ein Fehler, dessen Folgen sich erst später in Montreal, Moskau und Los Angeles noch fataler auswirken sollte.
Das Tagebuch des Schreckens
Dann, als Münchens Bürger und Olympiagäste aus aller Welt der erst 16jährigen Ulrike Meyfarth zujubelten, die den Hochsprung gewann, den Olympiasieg des bundesdeutschen Bahnvierers der Radamateure am gleichen Abend stürmisch feierten - in jenem Augenblick, als die Begeisterung am größten war, schlugen acht arabische Terroristen erbarmungslos zu.
Ihr Einbruch ins olympische Dorf in den frühen Morgenstunden des 5. September und die Ermordung zweier Mitglieder der israelischen Olympia-Mannschaft und die Geiselnahme von neun weiteren Israelis waren ein ungeheuerliches Verbrechen, das die Olympischen Spiele in einen Abgrund stürzte. Noch nie zuvor war der olympische Friede, über dessen Realität die Meinungen ohnehin auseinandergehen, in derartiger Weise gebrochen worden. Die Araber suchten mit ihrer Aktion, die in der ganzen Welt auf das Schärfste verurteilt wurde, ein Forum zur Fortsetzung ihres Krieges gegen Israel.
Wieder 16 Stunden später wurde erst die ganze schreckliche Wahrheit offenbar. Die neun israelischen Geiseln und fünf der acht arabischen Terroristen wurden in der Nacht zum 6. September in einem dramatischen Feuergefecht auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck erschossen. Der Versuch, die Feddajin daran zu hindern, mit ihren Geiseln deutschen Boden zu verlassen, wurde zu einem Blutbad. Der Polizist Anton Fliegerbauer opferte dabei ebenfalls sein Leben.
An der Stelle der Eröffnung der Spiele trauerten Tausende um die Toten. Die Fahnen der Länder wehten auf Halbmast. 80.000 und mehr in allen Sportstätten nahmen Anteil am Schicksal der elf ermordeten Israelis: David Berger, Elizer Halfin, Zeev Friedmann, Josef Gotfreund, Schur Kahat, Josef Romano, Arnitzur Shapira, Mark Slavin, André Spitzer, Jacob Springer und Mosche Weinberg.
Dass die Spiele trotz dieser Bluttat nur unterbrochen und nicht abgebrochen wurden, traf manchen Zuschauer und Sportler zutiefst. Manfred Ommer aus Leverkusen zum Beispiel, Mitglied der 4x400m-Staffel der Bundesrepublik, trat zum Wettkampf nicht mehr an. Ob es richtig war, die Wettkämpfe fortzusetzen, sei dahingestellt und dem Urteil jedes einzelnen überlassen.
Die Olympischen Spiele aber, jenes Ereignis, auf das sich Millionen gefreut hatten, die heiteren Spiele - wie sie uns offeriert worden waren - konnten nicht mehr stattfinden. Alles, was nach der Katastrophe kam, war nur ein verzerrtes Abbild dessen, was die Welt erträumt hatte.
Der Sport
Auf Grund der oben geschilderten Ereignisse rückte das sportliche Geschehen fast in den Hintergrund, obwohl es, auch von deutscher Seite aus, tolle sportliche Leistungen gab, so z.B. der überraschende Olympiasieg der 16jährigen Ulrike Meyfarth mit übersprungenen 1,92m, der Speerwurfsieg von Klaus Wolfermann über den grossen "russischen Bär" Janis Lusis, der Sieg von Heide Rosendahl im Weitsprung oder das legendäre 4x100m-Staffelrennen der deutschen Staffel gegen die Staffel der DDR, als Schlussläuferin Heide Rosendahl ihren hauchdünnen Vorsprung gegen die schier unbezwingbare Renate Stecher über die Ziellinie brachte.
Stars der Spiele waren jedoch ausländische Athleten wie der US-Amerikaner Mark Spitz, der in allen Schwimm-Wettbewerben, bei denen er antrat, auch gewann. Da er sieben Mal an den Start ging, gewann er auch sieben olympische Goldmedaillen über 100m, 200m, 4x100m und 4x200m Freistil, 100m und 200m Schmetterling sowie 4x100m Lagen.
Liebling der Spiele und der Münchner Zuschauer war jedoch die russische Kunstturnerin Olga Korbut, die nicht nur großartige sportliche Leistungen zeigte (3xGold, 1xSilber), sondern vor allem auch durch ihre freundliche Art und Ausstrahlung das Münchner Publikum in ihren Bann zog.
Bei der Schlussfeier der Olympischen Spiele von München wird mit Avery Brundage, seit 1952 Präsident des IOC, eine der schillernsten Personen der olympischen Geschichte verabschiedet.