Olympische Spiele der Neuzeit

 

Athen 1906

In dem organisatorischen Misserfolg der Spiele von Paris und St. Louis streifte eine ernsthafte Krise wesentliche Kernpunkte des olympischen Gedankens. Wohl hatten die sportlichen Leistungen die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges nachdrücklich erwiesen, sie durften aber erst auf tiefgehende Auswirkung rechnen, wenn die Ausgestaltung der Festtage sich zu einer ebenbürtigen Höhe erhob. Die griechische Einladung, den vierjährigen Rhythmus zu durchbrechen und eine zehnjährige Jubiläumsfeier 1906 in Athen durchzuführen, wurde nach anfänglichem Widerstreben angenommen. Je eher die schlechten Erinnerungen mit neuen Eindrücken überdeckt wurden, desto besser mochte sich die zukünftige Entfaltung des großen Werkes gestalten. Der herrliche Rahmen, in den Athen 1896 die Olympischen Kämpfe gekleidet hatte, war in seiner bezaubernden Schönheit nicht übertroffen worden. Er sollte und musste der Ansatzpunkt werden, von dem sich ein neuer Fortschritt entwickeln konnte. Nicht minder bedeutungsvoll schien die Verbundenheit der Kämpfer mit dem Fühlen des gastgebenden Volkes zu sein.

Die zweiten Spiele von Athen sind für das Wachstum des deutschen Sports von großer Bedeutung gewesen. Mit mehr als 60 Teilnehmern war die deutsche Expedition recht stark und wertvoller als die sportlichen Erfolge war die Fülle an Anregungen, die in die Heimat gebracht wurden. Die Olympischen Spiele waren fast für alle Sportarten der einzige Austausch und Vergleich, der über die Grenzen der Länder und Kontinente stattfand. Das Programm erfuhr durch das Rudern eine außerordentlich schöne Bereicherung, während das ebenfalls eingeführte Gehen nicht überall Fuß fassen konnte (wenngleich es auch heute noch zum olympischen Programm gehört!).

Interessant ist, dass alle Teilnehmer in einem Tempelbau, dem Z a p p e i o n, gemeinsam untergebracht waren. Man hatte in die Seitengänge Verschläge eingebaut und so äußerst einfache Unterkunftsstätten geschaffen. Die verschiedenen Mahlzeiten, die im Grunde nur eine unendliche Variation der Hammelfleischbereitung boten, wurden in dem großen Hauptsaal eingenommen. Trotz oder vieleicht gerade wegen der Primitivität der Anlagen durchwehte die Tempelsäulen stets das hohe Lied echten Kameradschaftsgeistes. An tatkräftiger Unterstützung ließ sich der König K o n s t a n t i n von keinem seiner Untertanen in den Schatten stellen. Er stieg von seinem Thron auf die Kampfplätze und beteiligte sich eifrig als Kampfrichter. Als solcher wirkte er beim Gehen und scheute sich nicht, einige "Traber" wegen unreiner Gangart zu disqualifizieren. Leider berichtet die Chronik nicht, ob sie der erlittenen Ehre wegen geflucht haben, wie es sonst bei dieser Begebenheit der Fall ist.

Fallen Streiflichter auf die sportlichen Ereignisse, zeigen sie jenen antiken Schimmer, der allen frühen Entwicklungsstadien anhaftet. Was einst groß war, ist verblasst unter dem unerbittlichen Vorwärts der Zeit. Im Diskuswerfen brachte der dreimalige amerikanische Olympiasieger S h e r i d a n immerhin schon 41,45m zur Strecke. Unentwickelt war noch der Stabhochsprung, wo der Franzose G o n d e r mit 3,50m siegreich war. Für das 110m-Hürdenlaufen brauchte der Amerikaner L e a v i t 16,2s. Die Ergebnisse in den Laufstrecken waren infolge der schlechten Laufbahn ohne besondere Bedeutung.

Deutschland hatte in der Gesamtheit mit 31 Siegen einen guten Erfolg. Besonders gefeiert wurde der Fechter
C a s m i r, aber den Höhepunkt bildete doch ein Sieg im Tauziehen. Neben Deutschland war Griechenland bis ins Finale gelangt. Aus dem Hafen Athens hatten die Griechen die stärksten Männer aufgeboten. Acht Riesen an Gestalt und Gewicht sollten die deutsche Mannschaft wie Strohhalme umreißen. Mehr als 40.000 Zuschauer freuten sich auf das neckische Spiel. Sportler und Turner zogen auf Deutschlands Seite einmütig an einem Strange. Kommandos fassten die Kräfte zusammen und stoßartig wechselten Ruck und Zuck miteinander ab. Unter den heftigen Angriffen wurden den Griechen die Knie weich. Unter den entsetzten Augen der Zuschauer wurden die Riesen über die Linie gezogen. Gemeinschaftsgeist hatte über rohe Kraft gesiegt. Nach der ersten Enttäuschung bereitete das griechische Volk den deutschen Siegern einen brausenden Triumph, der bis in die späten Nachtstunden in der Stadt in Liedern fortgestzt wurde. Die Namen der siegreichen deutschen Tauzieher waren: S c h n e i d e r e i t , R o n d i , B o r n, D ö r r, K a l t e n b a c h, R i t z e n d o r f , K r ä m e r und
W a g n e r.

Ein Abglanz altgriechischer Heiterkeit lag über diesen Bildern und vergoldete manche Unvollkommenheit mit verklärendem Schein. Erfrischt und gestärkt sandte der olympische Gedanken seine Strahlen wieder in die Welt.

An den Olympischen Spielen 1906 in Athen nahmen 884 Athleten aus 20 Ländern, darunter 7 Damen, teil. Insgesamt wurden 78 Wettbewerbe in 13 verschiedenen Sportarten ausgetragen. Die offizielle Eröffnung der Spiele nahm König Georg I. von Griechenland vor.

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