Olympische Spiele der Neuzeit

 

Antwerpen 1920

NACHT lag über Europa. Nicht das milde Dunkel jenseits des hellen Tages, in dem die Natur leise ihre Werke schaffte, sondern die Nacht des Hasses und der Vergiftung. Der Erde entstieg der Dampf des Blutes aus dem Völkerringen im 1. Weltkrieg und verschleierte den geistigen Horizont. Tief sank der olympische Gedanke hinab, fast erdrückt von den Schwachen der kranken Geistesströmungen dieser Zeit. Wild pochte in den Adern der Menschen das Blut, durchbebt und erfüllt von dem übermenschlichen Erlebnis des Weltenbrandes. NIchts war rein und fein geblieben. Durch die Wände der Sitzungsräume des Olympischen Komitees drängte sich der böse Hauch wie ein schleichendes Gas. Antwerpen, die belgische Festung, wurde zum Schauplatz der VII. Olympischen Spiele bestellt. Düsteres Licht flutete über die olympischen Tage. Stockholm hatte 1912 den sonnigen Festesglanz der Spiele mit echtem Leben durchtränkt, nun versanken Freude und Harmonie, Ritterlichkeit und Sportkameradschaft in den Fluten eines anderen Lebens. In den Speichern und Schuppen der Stadt stauten sich die Güter der Welt zu mächtigen Haufen und Bergen, Einlass heischend in das ausgehungerte Europa.

Verzweifelt arbeitete eine kleine Gruppe belgischer Sportsleute an der Bewältigung der Aufgabe. Bar jeder Unterstützung des Volkes, im Kampf mit Unverstand und Gleichgültigkeit, gelang nicht mehr als ein rohes Gerüst, die Spiele in den Angeln zu halten.

Seltsam spielte das Schicksal in seinen krassen Gegensätzen. Über Antwerpen wehte erstmalig die olympische Fahne mit den fünf Ringen, die die Verbundenheit der Erdteile wie die Glieder einer Kette darstellen. Auf dem weißen Atlas leuchteten die bunt gestickten Zeichen, aus deren Farben sich damals die Flaggen aller Länder zusammenstellen ließen. Baron Pierre de Coubertin hatte schon im Juli 1914 in genialer Schöpfung die Fahne erdacht. Das Symbol des Friedens wurde in der schwülen Atmosphäre des nahenden Unheils geboren und unter dem Dunkel des abziehenden Unwetters eines furchtbaren Krieges an den Masten gehisst. Die Spaltung der Welt in feindliche Gruppen überschattete die Austragung der Kämpfe. Die Mittelmächte sahen sich ausgeschlossen aus dem Kreis der Völker und ein schwerer Schlag gegen den olympischen Gedanken war getan. England, das Mutterland des europäischen Sports, hatte ein feines Gefühl für die Verletzung der Lauterkeit sportlicher Gesinnung und beschränkte die Teilnahme auf eine kleine Gruppe. Es war darin mehr die Absicht, eine Verbindung nicht abreißen zu lassen als durch eine kraftvolle Beteiligung die Gutheißung der eingeschlagenen Bahnen kundzutun.

Den stärksten Ausbruch des anti-olympischen Geistes aus dem Geschehen der Tage gab es beim Fußballturnier. Das Finale zwischen B e l g i e n und der T s c h e c h o s l o w a k e i musste unvollendet abgebrochen werden. Belgien führte 2 : 0, aber unter den Kämpfern herrschte nicht der ritterliche Geist einer echten Sportkameradschaft, sondern leidenschaftlicher Hass, entflammt von der Gier nach Erfolg um jeden Preis, zerschlug die sportliche Gesittung und schäumte in wilden Wogen gegen die Gesetze der Menschlichkeit. Aus den Zuschauermassen strömte eine gleiche Welle fanatischer Entartung und begrub in einem turbulenten Skandal die Schande eines dunklen und unseligen olympischen Tages.

Das junge finnische Volk, beseligt durch die köstliche Freiheit aus dem russischen Joch, warf seine jubelnde Kraft in die sportliche Welt. Der Veteran von Stockholm, H a n n e s K o l e h m a i n e n, krönt den finnischen Traum von der Herrschaft über die langen Strecken, durch seinen Sieg im Marathonlauf. Wie ein Komet aus weiter Ferne im Blickkreis der Erdenwelt, so erscheint P a a v o N u r m i am Sternenhimmel der sportlichen Heroen. Neunmal flattert die weiße finnische Fahne mit dem blauen Kreuz an höchster Stelle in den Wettkämpfen der Leichtathletik, und Amerika vermag noch gerade den Schritt des kleinen Riesen mitzuhalten.

In dem Amerikaner P a d d o c k verkörpert sich erstmalig die Elite höchster menschlicher Schnelligkeit,deren Kämpfe sich mehr und mehr zu einem faszinierenden Höhepunkt in dem bunten Kranz der Wettkämpfe verdichten. Wie die Kolben einer Maschine hämmerten die Beine über die kurzen Laufstrecken und trommelten ein Lied von unvergesslichem Rhythmus in die Ohren der Zuschauer. Im Schwimmbecken ht Amerika das Ziel von 1904 erreicht. In den 16 Wettbewerben schlug elf Mal eine amerikanische Hand an den Balken des Sieges. Aus dem Willen war eine Tat geworden. Den Männern gleich schossen die amerikanischen Ladies als erste Siegerinnen in vier neuen Damenwettbewerben durchs Wasser. Die aktiven Kämpfer hatten die Fackeln des olympischen Feuers ergriffen und trugen sie siegreich durch das Dunkel der Zeit.

Die Olympischen Spiele von Antwerpen 1920 wurden offiziell von König Albert von Belgien am 14.08.1920 eröffnet. 2669 Athleten aus 29 Ländern, darunter 78 Damen, nahmen an den Spielen teil und bekämpften sich bei 154 Wettbewerben in 24 Sportarten. Wiederum wurden wie 1912 bei 5 Kunstwettbewerben olympische Medaillen vergeben. Der Sprecher des olympischen Eides war der belgische Fechter und Olympiasieger Victor Boin.

Zurück zur Historien-Übersicht dieser Sportart